Zelten im Regen
Christina Walther
Montag, 8.August
Wir starten einigermaßen pünktlich, kurz nach halb neun. Die Kinderzimmer sind aufgeräumt, die Wohnung geputzt, der Kühlschrank geleert. Wir sind richtig stolz auf uns. Unverdientermaßen - doch dazu mehr in zwei Wochen.
In Rothenstein fragt Johanna zum ersten Mal, ob wir bald da seien. Am Rasthof Fläming können wir dann antworten, daß wir jetzt immerhin Pause machen. Wir wirken ziemlich ostdeutsch mit Freßbeutel, hartgekochten Eiern, Thermosflasche und Brot mit Wurst. Den Kindern ist das egal; sie okkupieren die Spielgeräte und zeigen dem anwesenden Einzelkind, was Familienbande wirklich bedeutet.
Ich kaufe in weiser Voraussicht noch Bonbons und Kaugummis für die Fahrt; und prompt fällt mir 50 km weiter eine Zahnfüllung raus. Nach der Autobahn zieht sich die Strecke immer länger; es gibt noch eine Umleitung, die Straßen werden schmaler und schlechter, aber wir verfahren uns nicht (das Navisystem kennt den Ort sowieso nicht), finden das von Ines beschriebene rote Eisschild am Waldweg zum See und kommen halb zwei tatsächlich am Campingplatz an.
Nun ist da eigentlich zwischen eins und drei Mittagspause (an die sich auch alle Camper halten) und wir dürften ja gar nicht auf den Zeltplatz fahren. Da aber der Gaslieferant gerade da ist, steht die Schranke offen und wir biodieseln trotzdem rein. Und werden natürlich sofort von Frau Z., der Inhaberin, bemerkt und ermahnt. Wir zeigen uns reuig und entschuldigen uns; so schwindet ihre strenge Mine und sie zeigt uns sogar noch den Weg zu Ines' & Peters Zelt.
Unser ursprünglicher Plan, die Beiden telefonisch auf unser Kommen vorzubereiten, scheiterte an dem quadratkilometergroßen Funkloch, in dem wir die nächsten Tage leben sollten.
Nach ausführlicher Einweisung und Tips zum Umgang mit Frau Z., Dauercampern, Waschräumen (die in der Mitte lieber nicht benutzen), Gaskocher, zu Wanderwegen und Ausflugszielen bekommen zumindest die Kinder und ich irgendwann Hunger. So holen wir die zwei Klappkisten Dosennahrung aus dem Kofferraum und werden auch gleich belächelt. Wir sind noch nicht bis zu den Hinweisen zu Einkaufsmöglichkeiten gekommen und erfahren nun, daß es in Wesenberg (ca. 20 min entfernt) durchaus auch Supermärkte gibt.
Naja, ich war halt vor 15 Jahren das letzte mal hier Wasserwandern. Vielleicht hat sich in der Zwischenzeit doch etwas geändert.
Bloß gut, denn auf unserer „Dinge-die-wir-blöderweise-vergaßen-Liste” taucht als erstes B ü c h s e n ö f f n e r auf. So wird der „Dinge-die-wir-unbedingt-erledigen-müssen-Liste” (auf der bereits Zahnarzt steht) der nächste Posten hinzugefügt. Da Peter seinen Dosenöffener noch nicht ganz tief verpackt hat, bekommen wir trotzdem erst mal alle was zu essen.
Ich weiß ja, daß kulinarische Ansprüche an das Campingessen verfehlt sind, aber alle einfaches-Leben-in-der-Natur-Romantik kann nicht darüber hinweg täuschen, daß der Bohneneintopf nicht schmeckt. Oder besser gesagt, zu sehr schmeckt, nach Kochsalz und Glutamat. Es macht satt, und das ist noch das Beste, was sich darüber sagen läßt.
Es ist zwar nicht warm, aber sonnig, so baden Ines und Peter ab und Sophia geht sogleich anbaden. Die Kleinen erkunden den Spielplatz und die Eltern haben genügend Zeit, das Zelt in Besitz zu nehmen. Es ist durchaus geräumig, 24 m² Grundfläche und zwei separate Schlafkabinen; Tisch und Stühle passen auch noch bequem rein. So nobel habe ich noch nie gezeltet, obwohl alles kein Vergleich zu den Palästen der Dauercamper ist.
Satellitenschüsseln, Lichterketten, Gartenzäune, Terrasse mit Gehwegplatten, Blumenbeete mit Gartenzwergen- ein wenig fremd bleibt mir die Mentalität schon. Wir haben immerhin Regale im Zelt, so daß sich das von mir befürchtete zwei-Wochen-aus-dem-Koffer-Leben-Chaos in Grenzen hält.
Nachdem sich Ines und Peter verabschiedeten, sammeln wir die Kinder wieder ein. Johanna und Emilia sind durch das Sand-Erde Gemisch auf dem Spielplatz beträchtlich angegraut, Sophia durch den nassen Badeanzug am Körper eiskalt. Mehr als alle elterlichen Ermahnungen erinnert wohl die anschließende Blasenentzündung Sophia daran, sich gleich nach dem Baden umzuziehen.
Sophia (nun wieder in Hose und T-Shirt) findet gleich am ersten Tag eine Freundin, Hanna aus Niedersachsen. Ihre Eltern haben zwei Hunde und gleich den übernächsten Campingwagen, so muß ich wenigstens nicht allzu weit laufen, wenn ich in den nächsten Tagen mein Kind suche.
Am späten Nachmittag fahren wir noch nach Wesenberg; auf unserer „Dinge-…”-Liste ist noch Wasserkasten und Brot hinzugekommen. Die Straße ist sehr idyllisch und schmal, das Örtchen Drosedow hat eine niedliche Backsteinkirche. Wesenberg selbst ist überschaubar, wir finden sofort alle Einkaufsmöglichkeiten und nach einiger Suche auch den Zahnarzt. Dort ist halb sechs das Wartezimmer immer noch voll; ich bekomme aber einen Termin für morgen früh halb acht.
Auf dem Zeltplatz essen wir Abendbrot mit Blick auf den See. Die Kinder finden den eingeschweißten Scheibenkäse toll und die Tatsache, daß es keinen stört, wenn sie krümeln. Ich begeistere mich für das beim örtlichen Bäcker gekaufte Brot, es ist ohne Hefe, Sauerteig oder Backpulver gebacken und angeblich das Beste, was man Magen und Darm antun kann. All diese Vorzüge sind mir eher egal, bis jetzt hat mein Darm unter keinem Sauerteig gelitten und ich bin zuversichtlich, daß er es auch in Zukunft nicht tun wird. Das Brot schmeckt einfach nur gut.
Nun beginnt das Ritual, das die Entspannung beim Urlaub erheblich mindert. Drei Kinder in Gemeinschaftssanitäranlagen, dazu eine leicht neurotische Mutter, die auf jeder Keramik den Keim winken sieht und sofort „Schmierinfektion” brüllen möchte, wenn das Kind die Klobrille berührt. Ich rechne es mir hoch an, daß ich dem Drang widerstand, ein Desinfektionsspray zu kaufen. So peinlich wollte ich dann doch nicht sein.
Irgendwann sind alle Kinder und auch wir in den Schlafsäcken. Die Nacht wird kalt. Sophia wird sich am nächsten Tag beklagen, daß sie schrecklich fror. Auch ich empfinde die Temperatur nicht gerade kuschelig.