Von Büchern, die man gerne liest
Es ändert sich. Bücher, die einen beeindruckten, in denen man seine Seele wiederfand, Bücher, die man heiß diskutierte, von denen man schwärmte, die man gelesen haben mußte - sie fristen inzwischen ein etwas verstaubtes Dasein in den hinteren oder oberen Reihen.
Neue Bücher drängen nach vorn und es bleiben nur wenige, die man auch heute noch zum wiederholten Male liest. An die anderen denkt man wie an die Menschen, mit denen man einst gut befreundet war und denen man heute noch nicht mal mehr eine Geburtstagskarte schreibt, weil man sich nur noch sehr selten an sie erinnert. Die Interessen und die Gesprächsthemen sind heute ganz andere und so bleiben freundliche oder auch distanzierte Erinnerungen an vergangene Zeiten.
Zeitlos bleiben die Märchen - die richtigen Volksmärchen, mit edlen Männern und Frauen, die Prüfungen zu bestehen haben, die verraten werden und auch wieder gute Freunde finden, die gegen böse Mächte bestehen müssen, wo Gut und Böse eindeutig zu erkennen sind und wo am Ende natürlich immer die Guten gewinnen und zumeist noch der Prinz seine Prinzessin bekommt. Diesem Erfolgsrezept genügen auch heute noch viele Romane, es hat sich schließlich über Jahrhunderte hinweg bewährt.
Die Kunstmärchen von E.T.A. Hoffmann sind hingegen inzwischen in die oberste Reihe gewandert - die ausführlichen Monologe und zierlichen Beschreibungen langweilen heute ein wenig.
Einen ähnlichen Platz nehmen die Heldenepen ein. Immer wieder faszinieren die Erzählungen von mutigen Männern oder Frauen, die unwahrscheinliche Heldentaten vollbringen. Sie können mit ihrem Charisma andere Menschen mitreißen, müssen schwerste Verluste ertragen, und geben doch niemals auf. Als erstes mag einem das Nibelungenlied oder vielleicht auch die Odyssee dazu einfallen, aber auch so manche Science-Fiction Saga ist eine moderne Interpretation der alten Geschichten.
Mit den Kinderbüchern ist es ein eigen Ding: Die Bücher, mit denen man aufwuchs, liest man seinen Kindern auch wieder vor. Im Osten hatten wir den Kinderbuchverlag, der nun einen Aufschwung erlebt, weil viele Eltern und Großeltern erfreut die alten Bücher wieder entdecken.
Bücher, früher gern gelesen
Eigentlich fast alles, was in den Bücherregalen der Eltern zu finden war. Mark Twain, Balzac und Maupassant mochte ich besonders; Moby Dick oder die Beschreibungen von Heinrich Stoll haben mich so manchen Nachmittag gefesselt.
Hinzu kamen die Empfehlungen von Freunden, was man unbedingt gelesen haben mußte. Mit 15, 16 Jahren fühlten wir uns in den Romanen von Hermann Hesse verstanden.
Die Bücher, die damals den Nerv der Zeit trafen: schwer zu ergattern, heiß diskutiert damals,
sie berühren heute längst nicht mehr auf diese Art und Weise.
Die spitze, doppeldeutige Ironie von Fritz Rudolf Fries müßte man heute erst erklären; die Trauer um zerstörte Umwelt wie in "Abschied von Matjora" von Valentin Rasputin ist schon längst abgestumpft durch die täglichen Nachrichten - was ist ein einziges Dorf gegen die Zerstörung der Heimat von 1.500.000 Menschen.
Die Geschichten von Erwin Strittmatter und Jurij Brězan erzählen von Lebensumständen, die uns immer ferner werden und für die sich unsere Kinder schon längst nicht mehr interessieren.
Bücher, immer noch gern gelesen
Der geniale Wortwitz von Peter Hacks amüsiert mich auch heute noch.
Feuilletons mochte ich schon immer: ich finde es erstaunlich, wie manche Schriftsteller es verstehen, einfache alltägliche Ereignisse so unterhaltsam zu beschreiben. Die Bücher von Heinz Knobloch füllen eine Regalreihe, hinzu kommt Alfred Polgar.
Der Kleine Prinz von Antoine de Saint-Exupéry ist zeitlos. Viele weitere Werke gibt es leider nicht, aber "Wind, Sand und Sterne" gehört unbedingt zu den Büchern, die man immer wieder lesen kann.
Bücher, neu entdeckt
Das Jahr 1989 brachte nicht zuletzt jede Menge neue Bücher in die Läden. Meine Vorliebe für Krimis und Science-Fiction-Literatur bekam neue Nahrung und inzwischen reichen die Bücherregale schon lange nicht mehr.
P.D. James, Agatha Christie und Dorothy L. Sayers waren zwar auch im Verlag Volk und Wissen verlegt worden, ebenso Rex Stout und Erle Stanley Gardner. Diese Bücher landeten freilich selten auf dem Ladentisch, aber nun ist es kein Problem mehr, die Sammlung zu vervollständigen. Hinzu kamen z.B. Sarah Paretski und Ann Granger; jede Menge Autoren aus der SF-Ecke und vor allem J.R.Tolkien.
Eines ist anzumerken: An der Auswahl der Bücher ist selbstredend zu erkennen, in welchem Teil Deutschlands ich aufgewachsen bin. Den "Herrn der Ringe" gab es damals zum Beispiel einfach nicht; was aber weniger an der mangelnden Akzeptanz von Fantasy-Literatur gelegen haben dürfte als vielmehr an dem Mangel an Devisen.