Freunde auf leisen Pfoten - Leben mit Katzen
Nelly
Es war ein kalter Freitag im November 1977. Freunde aus der Klasse meiner Schwester klingelten und brachten eine Handvoll zitterndes Fell. Sie hätten das Kätzchen gefunden und es wäre ganz allein gewesen und unsere Mutter sei doch Tierärtzin und wüßte bestimmt, wie man es am Leben erhält. Dazu ist zu bemerken, daß unsere Mutter in der Lebensmittelhygiene arbeitete und das Maximum, was sie uns an Haustieren bis dahin zugestanden hatte, ein Wellensittich war. Katzen zum Streicheln und Schmusen gab es in der Nachbarschaft schon genug.
Aber die Mutter war noch auf Arbeit und wir beschlossen, sie schon davon überzeugen zu können, das arme Kätzchen nicht der Kälte und dem Hunger zu überlassen.
Die Menschheit lässt sich grob in zwei Gruppen einteilen -
in Katzenliebhaber und im vom Leben Benachteiligte.
Francesco Petrarca
Nein, begeistert war unsere Mutter nicht, aber wie konnte sie es uns bettelnden Mädchen antun, die winzige Katze wieder wegzubringen - wohin auch? Sie glaubte es uns lange Zeit nicht, daß wir das nicht angezettelt hatten.
Die Katze war höchstens 4 Wochen alt und viel zu klein, um schon von der Mutter getrennt zu werden. Vielleicht sollte sie gar nicht weiterleben und die Kinder hatten sie nicht gefunden, sondern wollten sie in Sicherheit bringen, weil sie sie selber nicht behalten konnten - ich weiß es nicht.
Unsere Mutter warnte uns, daß dieser Winzling wohl nicht lange überleben würde.
Wir nahmen ein kleines Glasfläschen - wer kennt sie noch, die Liebesperlen? - verdünnten Milch mit Wasser und flößten der angstvoll zitternden Katze Tropfen für Tropfen ein.
Unsere Mutter erklärte uns, daß die Katzen auch nachts gesäugt werden.
Also stellten wir uns in den ersten Nächten den Wecker aller 2 Stunden, damit sie nicht verhungerte.
Und ja, unsere Mutter fand sich damit ab, daß wir das Katzenkörbchen in unserem Zimmer hatten, daß die Katze lange brauchte, um zu begreifen, daß man sein Geschäft nicht unterm oder auf dem Bett erledigt ...
Ein Hundebaby lehrt man, daß es seine Pflicht im Leben ist, einen Menschen zu finden, dem es dient und den es liebt.
Ein Kätzchen lehrt man, einen anpassungsfähigen und liebevollen Sklaven zu finden, der auf Freundlichkeiten reagiert.
Pam Brown aus "Katzenkinder"
Der Winter ging vorüber. Nelly lernte, aus dem Schüsselchen zu fressen, das Haus sauber zu lassen, Mäuse und Vögel zu fangen. Als sie selber ihre ersten Kätzchen bekam, war sie völlig verunsichert. Zum Glück hörte ich das Geklapper in der Küche, befreite Nelly aus dem Geschirrschrank, setzte sie in ihren Korb und blieb solange bei ihr, wie sie es wollte.
Wieviele kleine Katzen wir danach noch in unserem Haus hatten, ist kaum zu sagen; pro Jahr beglückte uns Nelly 2-3 mal mit Nachwuchs. Wir nahmen uns einige Male vor, sie sterilisieren zu lassen - aber in den kurzen Zeiträumen, in denen sie weder trächtig war noch ihre Jungen säugte, war sie so dünn, daß der Tierarzt den Eingriff ablehnte. Also freuten wir uns an den kleinen Kätzchen und versorgten die Verwandschaft und Bekanntschaft mit Nellys Nachfahren. Da Nelly so zart war, blieb es bei 1-3 Katzen pro Wurf, so daß die Chancen gut waren, alle Kätzchen in liebevolle Hände zu geben.
Manche Katzenkinder blieben auch bei uns in der Familie, so der prächtige Kater Mutsch; Ergebnis der Liasion mit einem Kartäuserkater.
Wir versuchten auch immer wieder, eines der Katzenkinder von Nelly bei uns zu behalten. Solange die Kätzchen noch klein waren, zeigte sich Nelly als überaus besorgte Mutter, aber danach war Nelly wenig sozial und vertrieb ihre Töchter. Nur Purzel blieb uns nach dem Tod von Nelly erhalten.
Es heißt, daß Katzen ihr Leben lang nur das fressen, was sie in den ersten Wochen vorgesetzt bekommen. Unsere Katze mochte Bohnensuppe, Grießbrei und vor allem Kuchen. Jeglicher Androhung von Strafe zum Trotz machte sie sich über jedes süße Teil in Reichweite her.
Wir hatten Besuch eingeladen und Erdbeertorte vorbereitet. Es kam, wie es kommen mußte: Die Torte stand wenige Minuten unbeaufsichtigt in der Küche und die Hälfte der Schlagsahne war abgeleckt. Unsere Eltern trugen es mit Fassung; die verbliebene Sahne wurde verteilt und die Torte kommentarlos auf den Kaffetisch gestellt.
Vor einem Fehler seid bewahrt,
der Katze trete nie zu nah.
Verbeugt euch tief mit Hut in Hand,
und sprecht sie mit "Oh Katze" an.
aus Cats "Wie man eine Katze anspricht"
Zu Besuch hatte Nelly ihr spezielles Verhältnis: sie setzte sich mit absoluter Treffsicherheit genau demjenigen auf den Schoß, der Katzen eigentlich nicht besonders mochte. Ich denke, es lag daran, daß diese Menschen eher Abstand zu Katzen halten und nicht gleich versuchen, sie anzufassen und zu streicheln. Nelly fühlte sich von uns 4 Kindern vermutlich zu sehr gestreßt und bevorzugte die zurückhaltenden Menschen, wenn sie einen kriegen konnte.
Als ich schwanger war, wurden bei der üblichen Blutuntersuchung Antikörper gegen Toxoplasmose gefunden. Daraufhin mußte ich jedesmal Blutuntersuchungen über mich ergehen lassen - als ob ich nach 10 Jahren mit Katzen im Haus und Beseitigung von so mancher Hinterlassenschaft nicht einfach immun dagegen gewesen wäre. Ich erzählte es der Frauenärztin dann lieber doch nicht, daß der Korb mit 3 kleinen Katzen neben meinem Bett stand und Nelly mir abends die Füße wärmte.
Nelly wurde 14 Jahre alt. Sie starb sehr plötzlich; sie muß etwas Giftiges gefressen haben.
Manche sagten von Nelly, sie wäre launisch und unberechenbar gewesen. Wir sagen, sie war die charaktervollste Katze, die wir je hatten.
Dresden, 2005
Eigentlich war die Katze wie alle anderen Katzen. Nur eines hatte sie den anderen voraus: sie saß gern auf dem Königsthron und döste und das kommt bei gewöhnlichen Katzen doch nicht vor. Vielleicht erinnerte sie sich dabei, daß ja ihr entfernter Vetter, der Löwe, der König aller Tiere ist. Vielleicht sah es auch nur so aus, als ob sie sich erinnerte.
Aus "Das große Katzenmärchen" von Karel Čapek